Genuss und Lust bei Michel Eyquem de Montaigne

Das griesgrämige Gesicht lässt eigentlich keinen großen Geniesser erwarten, aber die Essais zeugen doch vom ausgeprägten Hedonismus Montaignes. Hier einige Beispiele:

Zitiert nach:

Michel de Montaigne: Essais. Auswahl und Übersetzung von Herbert Lüthy. Manesse Verlag, 7. Auflage, Zürich, 1991.

Michel de Montaigne: Essais. Übersetzung von Hans Stilett. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main, 1998.

 

Ob gesund oder krank, habe ich mich immer willig von den Gelüsten leiten lassen, die sich in mir regten. (…) Meine Lust nach den verschiedenen Dingen hat sich von selber recht glücklich nach dem Befinden meines Magens bequemt und eingerichtet. Die Schärfe und Gewürztheit der Brühen mundete mir, als ich jung war; als sich seitdem mein Magen dagegen verwahrte, pflichtete ihm mein Geschmack unverzüglich bei. Der Wein schadet dem Kranken: er ist das erste, was meinem Gaumen widersteht, und mit einem unüberwindlichen Widerwillen. Alles, was ich mit Unlust zu mir nehme, ist mir schädlich, und nichts ist mir schädlich, was ich mit Lust und Hunger genieße; nie ist mir ein Nachteil aus einem Beginnen erwachsen, das mir großes Vergnügen bereitete. Lüthy - Von der Erfahrung 861 f.

 

Der Genuß zählt zu den wesentlichsten Dingen, die wir gewinnen können. Lüthy - Von der Erfahrung 864

 

Die Natur hat mütterlich darauf geachtet, daß das, was sie uns zu unserer Notdurft tun heißt, uns auch zur Lust sei, und beruft uns dazu nicht nur durch die Vernunft, sondern auch durch die Begierde. Es ist unrecht, ihre Gebote zu verstümmeln. Lüthy - Von der Erfahrung 875

Je kürzer die Zeit, die ich das Leben noch besitze, desto tiefer und voller will ich es besitzen. Lüthy - Von der Erfahrung. Lüthy - Von der Erfahrung 878

Die anderen fühlen die Süße eines Wohlbefindens und eines Glücks; ich fühle sie gleich ihnen, doch nicht im Vorbeigehen und Dahingleiten. Man muß sie vielmehr ergründen, auskosten und wiederkäuen, um dem würdig zu danken, der sie uns beschert. Lüthy - Von der Erfahrung 878

 

Die allerschönste Frucht meiner Gesundheit sehe ich in der Lust am Genuß. Halten wir uns daher an den jeweils erstbesten, der uns bekannt und zur Hand ist. Stilett - Über die Erfahrung 557

 

Daß es gesünder ist, wenn man möglichst langsam und wenig auf einmal, dafür aber öfter ißt, glaube ich durchaus. Gleichwohl möchte ich auch Appetit und Hunger zu ihrem Recht kommen lassen. Mir würde alle Eßlust genommen, wenn ich mich nach ärztlicher Vorschrift mit täglich drei, vier mageren Mahlzeiten abquälen müßte. Wer könnte mir dafür bürgen, daß mir zum Abendessen nicht der morgendliche, für alles offene Appetit vergangen sein wird? Laßt uns, vor allem uns Greise, feste zugreifen, sobald sich eine günstige Gelegenheit bietet! Überlassen wir die täglichen Diätempfehlungen den Ärzten und den Kalendermachern! Stilett - Über die Erfahrung 557.

 

 

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